IFA zwischen Zauberkästen und Fehlerkisten
Internationale Funkausstellung im Zeichen der
Konvergenz
Von Dr. Matthias Kurp, 22.08.2001
Die Internationale Funkausstellung
in Berlin soll in diesem Jahr den Weg in die digitale Rundfunk-Zukunft weisen.
Pünktlich zum Start: ein virtueller Rundgang mit Hindernissen.
So groß
wie in diesem Jahr war die Internationale
Funkausstellung in Berlin nie zuvor: Auf einer Fläche von umgerechnet 15
Fußballfeldern stellen 904 Unternehmen (1999: 872) aus 40 Ländern aus. In
Berlin sind immerhin 90 Prozent der auf dem Weltmarkt agierenden
Konsumelektronik-Firmen vertreten. Die weltweite Leitmesse der Branche soll bis
zu 400.000 Besucher anlocken. Doch die Zahlen täuschen: Die Zeiten der enormen
Wachstumsraten sind vorbei, Umsätze und Gewinnmargen sinken, die Branche sucht
nach neuen Killer-Applikationen.
Der Markt für Fernseher stagniert seit Jahren. Mehr
als 56 Millionen Geräte sind in Deutschlands Wohnzimmern einfach nicht
unterzubringen. Und mit den Durchschnittspreisen sind in den vergangenen Jahren
auch die Erlöse gesunken. Kostete ein TV-Gerät vor zwanzig Jahren durchschnittlich
mehr als 2000 Mark, so beträgt der Preis heute nur noch knapp die Hälfte.
Vorbei auch die Zeiten von Video- oder CD-Boom. Jetzt sollen digitale
Fernseh-Computer-Kombinationen die Trendwende bescheren.
Ü
„Digitalisierung“ als viel beschworene Zauberformel
Das viel beschworene Zauberwort bei der IFA heißt
einmal mehr „Digitalisierung“. Breitbandkabel, digitales Fernsehen, Internet
und Computer sollen zu einer interaktiven Multimediaplattform verschmelzen.
Doch von dieser Vision träumte die Branche bereits, als die Kirch-Gruppe vor sechs
Jahren bei der IFA erstmals ihre d-Box präsentierte. Es folgte ein Streit ums digitale
Pay-TV und um Premiere.
Kirchs umstrittener Decoder, von dem er bereits 1995 eine Million Stück beim
Hersteller Nokia geordert
hatte, ist längst zum Symbol für einen verpatzten Start ins digitale
TV-Zeitalter geworden.
Viele Träume sind zerplatzt, Marketing-Aktionen
gescheitert, Milliarden-Summen verpulvert und Verbraucher skeptisch geworden.
Vor allem der von Kirch nie offen gelegte technische Decoder-Standard für
Verschlüsselung und Programmierung der d-Box verhinderte einen sich frei
entwickelnden Markt. Das soll nun besser werden. Für die Integration von
Computer- und Internetangeboten wurde mit der Multimedia Home Platform (MHP) inzwischen ein einheitlicher
europäischer Standard geschaffen, und auch in der Decoder-Frage scheint Kirch
einlenken zu müssen. Nun trauen sich endlich auch andere Hersteller, eigene
Set-Top-Boxen zu vermarkten. Für den neuen MHP-Standard will Panasonic als erster
Hersteller bei der IFA einen neuen Decoder vorstellen.
Ü
Set-Top-Boxen und digitale Videorecorder im Mittelpunkt
Die zentralen IFA-Innovationen sollen bei
Deutschlands ältester Industriemesse in diesem Jahr Receiver mit
integriertem Internet-Zugang und digitale Videorecorder („World of DVD“,
Halle 7.2a) sein, die vielfach gleich in Empfangsgeräte (v.a.
Satelliten-Receiver) eingebaut sind. So bietet Panasonic mit dem
Satellitenreceiver TU-DSF41 (Halle 05.2a, Stand 01) ein Gerät inklusive
Internet-Modem an, das allerdings nur 33,6 Kbit/sec. übertragen kann. Die
Paderborner Axcent Media AG
will mit dem Satellitenempfänger „Media TV“ eine Kombination vorstellen, die
außer dem Internetzugang auch eine Festplatte mit 80 Gigabyte zur Aufzeichnung
von TV-Sendungen (50 Stunden) bietet (Halle 1.2, St. 04).
Während auf dem Decoder-Markt lange mangelnder
Wettbewerb herrschte, konkurrieren im Bereich der DVD-Recorder bzw. der digitalen
Videorecorder zurzeit beinahe zu viele unterschiedliche Systeme. So baut
etwa Philips auf den
bereits bei der CeBIT vorgestellten DVD-Recorder „DVDR 1000“, der bis zu vier Stunden
Programm im Format DVD+RW aufnehmen kann (Halle 07.2a, Stand 01). Das Gerät
soll etwa 4000 Mark kosten. Außerdem werden etwa 40 Mark teure Discs benötigt,
die allerdings mehrmals genutzt werden können. Panasonic hingegen setzt mit
seinem Recorder „DMR-E20“ auf nur einmal beschreibbare DVD-R-Discs, auf die bis
zu zwölf Stunden Programm passen (Halle 05.2a, St. 01). Wer mehrmals
verwendbare DVD-R-Discs zur Aufnahme einsetzen will, kann diese leider nur vom
Panasonic-Gerät aus abspielen. Der Preis für den Recorder, bei dem man bereits
während der Aufzeichnung mit dem Abspielen der aufgenommenen Sendung beginnen
kann, dürfte zwischen 2500 und 3000 Mark liegen. Generell gilt für alle
DVD-Recorder, dass nie garantiert werden kann, dass sich einmal Aufgenommenes
auch auf fremden Geräten wiedergeben lässt.
Ü
Nicht alle Hersteller teilen die große Konvergenz-Euphorie
Für analoge Fernsehsignale ist bei der neuen
Recorder-Generation lediglich der Videorecorder „Prime Timer“ von Schneider geeignet
(Halle 23a, St. 01). Das Modell speichert bis zu 50 Stunden Programm auf einer
Festplatte und kostet etwa 1500 Mark. Schneider scheint dem digitalen
interaktiven Fernsehen nicht recht zu trauen – und auch nicht der viel
zitierten Konvergenz von TV, PC und Internet. Und weil der eher passive
TV-Zuschauer mehr auf Bequemlichkeit als auf aktive Internet-Recherche
ausgerichtet ist, setzt das Türkheimer Unternehmen lieber auf Laser-TV,
bei dem das TV-Programm großflächig auf eine Leinwand projiziert werden soll.
Noch aber ist diese Technologie nur im Labor zu bestaunen.
Wenn bis zum Jahr 2010 der Rundfunk-Empfang in
Deutschland tatsächlich komplett auf den digitalen Standard umgestellt werden
soll, müssen zunächst einmal die Verbraucher überzeugt werden. Voraussetzung
dafür aber sind einheitliche Standards, bessere Bedienkonzepte, inhaltlich neue
Angebote und eine Verminderung der Störanfälligkeit der neuen Geräte. Helmut
Stein, Chef des Fachverbands Unterhaltungs-
und Kommunikationselektronik, warnte bereits davor, es wäre „verheerend,
wenn über den Digitalempfang nur als Horrorszenario geredet würde“.
Ü
Set-Top-Box mehr Fehlerkiste als Zauberkasten
Stein ist zugleich Technikvorstand bei Nokia. Sein
Unternehmen hat gerade einen digitalen Satellitenempfänger mit eingebauter
Festplatte namens „Mediamaster 9902S“ auf den Markt gebracht. Doch diese
Mischung aus Decoder und Videorecorder hat beinahe so viele Mängel wie die
d-Box. Im Test von Computerbild
reichte es nur zu einem „ungenügend“. Die größten Mängel: lange Umschaltdauer
bei Programmwechseln, häufig nur zeitversetzte Wiedergabe von Bild und Ton, nur
eingeschränkte Verwendbarkeit von anderen als der Premiere-Programmführung,
fehlender Digital-Ausgang zur Überspielung von Filmen auf andere Geräte, hoher
Stromverbrauch. In punkto digitale Endgeräte scheint sich in den vergangenen
sechs IFA-Jahren bei der weltweit bedeutendsten Messe der
Unterhaltungselektronik, Informations- und Kommunikationselektronik also wenig
geändert zu haben.