Ende der Digital-Krise?
Einigung aus „Multimedia Home Plat(t)form“
Von Dr. Matthias Kurp, 21.09.2001
Die wichtigsten
deutschen TV-Programmanbieter haben sich für das digitale Fernsehen endlich auf
den Standard der Multimedia Home Platform geeinigt.
Mehr als sechs
Jahre lang haben sie gestritten, agitiert und prozessiert, immer wieder neue
Allianzen gebildet und verworfen, neue PR-Kampagnen gestartet oder bei
Kongressen nach dem Regulierer gerufen. Doch genutzt hat es alles nichts: Das
digitale Fernsehen in Deutschland ist mit kaum mehr als zwei Millionen
versorgten Haushalten ein Ladenhüter geblieben. Schuld daran war außer den
zahlreichen Free-TV-Programmen vor allem Kirchs spezifischer technischer
Standard, der Anwendungen anderer Anbieter nicht zuließ. Kein Wunder, dass die
Kunden verunsichert waren. Kirchs Premiere World hat kaum mehr als 2,3 Millionen Abonnenten
und macht pro Jahr etwa eine Milliarde Mark Verlust. ARD, ZDF und RTL
strahlen zwar digitale Programme aus, doch deren Zusatznutzen blieb mangels
geeigneter Decoder bislang gering.
Am 19.
September rangen angesichts der drohenden Digital-TV-Krise ARD, ZDF und RTL in
Mainz erneut mit der KirchGruppe
um einen Ausweg aus der Sackgase. Und siehe da: Hoch oben auf dem Lerchenberg
verständigten sich alle gemeinsam auf den in Europa bereits seit etwa einem
Jahr etablierten Standard der Multimedia
Home Platform (MHP). Bei MHP handelt es sich um ein Decoder-System mit
einer offenen, allgemein zugänglichen technischen Schnittstelle (Common
Interface), die auf der Programmiersprache Java basiert. Der Standard ist mit
dem Betriebssystem bei Computern vergleichbar und gewährleistet, dass
Inhalteanbieter wie TV-Stationen auf der Basis eines offenen Softwarestandards
programmbegleitende Angebote integrieren können (Application Programming
Interface), die von allen Decodern unterstützt werden. Dies ist beim
Premiere-Decoder d-Box bislang nicht der Fall, weil Kirch mit Hilfe einer
proprietären Technik den digitalen Zugang zu den TV-Haushalten zu
monopolisieren versuchte.
Während durch den MHP-Standard zwar sowohl die
Programmführung für das digitale Fernsehen (Electronic Program Guide) als auch
die Internet-Schnittstelle endlich einheitlich geregelt sind, fehlt bei der
Ver- und Entschlüsselung allerdings noch immer ein offener Standard. Dennoch
ist der MHP-Beschluss ein wichtiger Meilenstein, weil Kirchs Manager zusicherten,
„die Bindung von Premiere World an proprietäre Technologien wird aufgelöst“.
Bei Premiere-Kunden bereits vorhandene Decoder (d-Box) sollen in den nächsten
Monaten online auf das MHP-Format umgerüstet werden, versprach die Kirch-Gruppe
in einer Presseerklärung.
Auf der
Basis von MHP lassen sich parallel zum TV-Programm Angebote wie die Verbindung
zum Internet samt Mailbox für E-Mails, das Herunterladen von Spielen,
Homeshopping, Pay-per-View oder auch Video-on-Demand realisieren. Die ersten
dieser Möglichkeiten sollen auf MHP-Basis spätestens bis zum 1. Juli 2002
angeboten werden. Viele Details der MHP-Standardisierung sind allerdings noch
immer nicht festgelegt. Aspekte wie die Belegung der Fernbedienung oder die
Steuerung des Rückkanals sind ebenso ungeklärt wie die Interoperabilität
unterschiedlicher Programme und Geräte. Außerdem, so klagen viele in den
Entwicklungsabteilungen der Unterhaltungsindustrie, sind die MHP-Vorgaben nur
vage festgelegt, so dass ihre Umsetzung noch Interpretationssache ist. Fraglich
bleibt auch, ob auch die neuen TV-Kabelnetzbetreiber Liberty und Callahan sich dem MHP-Standard
anschließen werden. Sollten sie – wie angekündigt – eigene Decoder mit eigenen
technischen Standards auf den Markt bringen, würde das ein neues Hindernis fürs
digitale Fernsehen in Deutschland bedeuten.