Gratisblätter in den Startlöchern

Verlage warten auf Entscheidung im Kölner Präzedenzfall

 

 

Von Dr. Matthias Kurp, 16.05.2001

 
 

 

 

 

 

 

 


Sollte nach dem Kölner Oberlandesgericht auch der Bundesgerichtshof grünes Licht für Gratiszeitungen geben, könnte es bald eine Flut neuer Titel geben. Investoren warten schon...

 

Kostenlose Zeitungen gibt es inzwischen in vielen Ländern Europas. Als 1995 im schwedischen Stockholm die erste Gratis-Tageszeitung Metro erschien, war das der Beginn eines beispiellosen Siegeszugs. Die Modern Times Group vertreibt den Titel inzwischen in dreizehn Ländern: in Rom, Mailand, Athen, Barcelona, Budapest, Zürich, in Amsterdam, Warschau und Helsinki ebenso wie in Philadelphia oder Toronto. In Stockholm hat das „Ur-Blatt“ eine Auflage von knapp 300.000, die täglich etwa eine halbe Million Leser erreicht.

Metro bescherte dem Verlag schon nach einem Jahr erste Gewinne. Kein Wunder, dass auch auf dem deutschen Zeitungsmarkt einige Unternehmen das große Geld wittern. Entscheidend für den schwedischen Erfolg war vor allem die Tatsache, dass das Gratisblatt exklusiv in allen U-Bahnhöfen verteilt werden durfte. Diesen Vorteil hat der norwegische Schibsted-Verlag, der Ende 1999 in Köln das erste deutsche Gratisblatt startete, nicht. Als Abwehrmaßnahme gegen Schibsteds 20 Minuten Köln ließen die Verlage Axel Springer (Bild) und M. DuMont Schauberg (Express, Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau) in Köln eigene Gratisblätter verteilen. Wer heute aus einer Kölner U-Bahn steigt, trifft meist auf Verteiler oder Zeitungskästen von gleich drei kostenlosen Zeitungen. Gegen 20 Minuten Köln kämpfen Marktführer DuMont mit Kölner Morgen und Springer mit Köln extra. Alle drei Blätter haben eine Auflage von jeweils 130.000 Exemplaren.

Angesichts des starken Konkurrenzkampfes werfen die Gratisblätter in Köln noch lange keine Gewinne ab. Der norwegische Schibsted-Verlag soll mit seinem Pilotprojekt im Rheinland im vergangenen Jahr mehr als 10 Millionen Mark Verlust gemacht haben. Für DuMont und Springer dürften die Verluste angesichts der vorhandenen Synergieeffekte ein wenig niedriger gelegen haben. Gratisblätter, so heißt es in der Branche, kosten pro Jahr etwa 12 bis 15 Millionen Mark. Wenn dann noch – wie in Köln der Verlag DuMont Schauberg – ein Zeitungsverlag mit einem Quasi-Monopol die Anzeigenpreise drückt, bleiben den Wettbewerbern für ihre kostenlosen Titel kaum Werbeeinnahmen.

Ü Im Ausland macht „20 Minuten“ schon Gewinne

In der Schweiz konnte sich Schibsted erfolgreicher positionieren. In Bern, Zürich und Basel darf der Verlag in Bussen und Bahnen exklusiv Verteilkästen installieren und konnte so dem Metro-Titel die Marktführerschaft entreißen. In allen drei Städten ist der Kioskverkauf von Lokalzeitungen um etwa zehn Prozent zurück gegangen. Ausgestattet mit 77 Millionen Mark Wagniskapitel, die von den Anteilseignern Schibsted, Actienbank-Group und dem Venture-Capital-Fonds Apax bereit gestellt wurden, soll 20 Minuten bald außer in Köln auch in anderen deutschen Großstädten an den Start gehen.

Ursprünglich hatte der Schibsted-Verlag noch für dieses Jahr Ableger in Düsseldorf und Berlin geplant. Dann aber schien die Kapitaldecke zu knapp, so dass nun zunächst strategische Partner gesucht werden. Außerdem will die 20-Minuten-Holding wohl erst noch mehr Rechtssicherheit erhalten. Sollten auch der Bundesgerichtshof und das Berliner Kammergericht keine Bedenken haben, könnte Anfang 2002 ein 20-Minuten-Netzwerk entstehen, dessen Zentrale in Berlin liegen wird. Dort hat ein Projektteam bereits Räume bezogen, das zukünftig Auftritte in Berlin, Bonn, Düsseldorf, Aachen, Stuttgart und Dresden koordinieren soll.

Ü Deutsche Zeitungsverlage entwickeln Abwehrstrategien

Um nicht Anteile auf den örtlichen Werbemärkten zu verlieren, entwickeln Deutschlands etablierte Zeitungsverlage bereits Gegenstrategien. DuMont denkt an einen Verbund mit anderen regionalen Zeitungsverlagen. Der Axel Springer Verlag hat vor knapp zwei Monaten sein Anfang 2000 hektisch aus der Taufe gehobenes Kölner Gratisblatt einem Relaunch unterzogen und dafür den ehemaligen Max-Chefredakteur Jan Eric Peters angeheuert. Er soll nun unter der Dachmarke extra „die jüngste Tageszeitung Deutschlands“ machen, um die Zielgruppe der 15- bis 30-Jährigen zu erreichen. Parallel aber verhandelten die Springer-Leute im Frühjahr auch mit Schibsted. Am liebsten wäre es Springer und DuMont allerdings, es gäbe gar keine Gratisblätter. Deshalb kündigen beide auch weiterhin unisono den Gang vor den Bundesgerichtshof an.