Wirtschaftsminister Wolfgang Clement steht vor einer wichtigen Entscheidung: Im Streit um die Berliner Zeitung und den Tagesspiegel hatte er im Mai die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck aufgefordert, sich ernsthaft nach einem Käufer für den Tagesspiegel umzusehen. Nur wenn eine Veräußerung scheitere, dürfe der Konzern die Berliner Zeitung übernehmen. Inzwischen steht mit dem Bauer Verlag ein Interessent für den Tagesspiegel bereit. Dennoch will Holtzbrinck nicht verkaufen.

Bereits zum zweiten Mal hatte Clement alle Beteiligten am 8. September zu einer Anhörung eingeladen. Im Hörsaal des Berliner Bundeswirtschaftsministeriums erschienen außer den Verlegern Stephan von Holtzbrinck und Heinz Bauer, die mit ihren Anwälten angereist waren, auch Vertreter des Axel Springer Verlages, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Märkischen Oder-Zeitung. Mehrere Stunden lang wurde dabei über den Berliner Zeitungsmarkt, über Pressekonzentration und mögliche Zukunftsperspektiven diskutiert. Nachdem die Berliner Zeitung im Juli 2002 vom Verlag Gruner + Jahr (zusammen mit dem Boulevardblatt Berliner Kurier) an Holtzbrinck verkauft worden war, hatten sowohl das Bundeskartellamt als auch die Monopolkommission diese Übernahme mit folgender Begründung abgelehnt: Da Holtzbrinck in Berlin auch den Tagesspiegel herausgebe, erlange der Verlag in der Hauptstadt nach dem Kauf der Berliner Zeitung mit einem Abonnement-Marktanteil von 61,4 Prozent zu viel Marktmacht, die eine Wachstumsbarriere für andere Unternehmen darstelle (4 siehe Artikel Hängepartie im Streit um Berliner Zeitung).

Als Holtzbrinck nach dem Veto der Wettbewerbshüter beim Bundeswirtschaftsministerium einen Antrag auf Ministererlaubnis stellte – damit können seit 1973 Entscheidungen des Bundeskartellamtes aufgehoben werden –, forderte Wolfgang Clement (SPD) einen Nachweis für Holtzbrincks Behauptung, ohne eine Übernahme der Berliner Zeitung müsse der Tagesspiegel  angesichts von Verlusten in Höhe von 84 Millionen Euro eingestellt werden. Erst wenn die Verlagsgruppe Holtzbrinck belegen könne, dass der Tagesspiegel unverkäuflich sei, so argumentierte der Bundeswirtschaftsminister, käme eine Ministererlaubnis im Fall der Berliner Zeitung in Frage. Das Stuttgarter Verlagshaus ließ sich auf Clements Bedingung ein. Von neun Bietern blieb allerdings nach einer Bewertung durch das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim schließlich nur die Verlagsgruppe Bauer übrig.

Ü Bauer besserte Angebot ein wenig nach

20 Millionen Euro hatte Bauer zunächst für den Tagesspiegel geboten und eine Bestandsgarantie über sieben Jahre. Sollte das Blatt früher eingestellt werden, erklärte Heinz Bauer in Berlin, sei er zu einer Vertragsstrafe in Höhe von 10 Millionen Euro bereit. Holtzbrinck hingegen hält das Kaufangebot für unzureichend und kontert mit einem bereits im April vorgestellten Stiftungsmodell, das dem Tagesspiegel im Fall einer Ministererlaubnis für die Übernahme der Berliner Zeitung zwanzig Jahre lang redaktionelle Unabhängigkeit garantieren soll. Außerdem kündigte Holtzbrinck an, gegebenenfalls mit einem Ergebnisabführungsvertrag über zwanzig Jahre auch alle Tagespiegel-Verluste durch die Muttergesellschaft ausgleichen zu lassen.

 

Heinz Bauer, der bei Verhandlungen sonst selten ein Angebot aufstockt, erklärte bei der Anhörung schließlich, auch er biete eine Bestandsgarantie plus Ergebnisabführungsvertrag über zwanzig Jahre. Beim Preisangebot mochte er aber nicht nachbessern. Zugleich drängte Bauer seinen Kontrahenten Stephan von Holtzbrinck klar zu stellen, ob denn der Tagesspiegel tatsächlich verkauft werde, wenn die Übernahme der Berliner Zeitung scheitere. Holtzbrinck blieb die Antwort darauf schuldig und schwächte damit sein wichtigstes Argument für die Genehmigung der Berliner Zeitungsehe.

 

Ü Eventuell erst Klärung vor Gericht

 

Eine Entscheidung über den Antrag auf Ministererlaubnis will Wolfgang Clement bis Ende des Monats treffen. Während sich die Monopolkommission am 1. September erneut gegen eine Übernahme der Berliner Zeitung durch Holtzbrinck ausgesprochen hatte, bezeichnete Clement das angebotene Stiftungsmodell für den Tagesspiegel als eines, „das eine lang dauernde Sicherheit gibt“. Holtzbrincks Chancen stehen also nicht schlecht. Sollten Tagesspiegel und Berliner Zeitung demnächst beim Vertrieb und Anzeigengeschäft aber unter einem Dach agieren dürfen, will der Springer Verlag vor Gericht ziehen. Schließlich habe der Verlag mit seinen eignen Titeln (4 siehe Tabelle unten) gegen Holtzbrinck in Berlin dann kaum noch eine Chance, argumentierte Springer-Manager Josef Probst. Die Schriftsätze, die dann an das Düsseldorfer Oberlandesgericht gehen sollen, liegen angeblich schon bereit. Damit könnte der Fall am Ende vor genau dem Gericht landen, das dem Bundeswirtschaftsministerium im vergangenen Jahr nach der Ministererlaubnis für die Übernahme von Ruhrgas durch Eon eine empfindliche Niederlage beschert und die Fusion im Eilverfahren wegen Verfahrensmängeln gestoppt hatte.

Um solche Klagen künftig zu verhindern, hat Clement in seinem Hause bereits Änderungen des Wettbewerbsrechtes vorbereiten lassen. Wenn im Oktober im Kabinett über die 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gesprochen wird, plädiert die SPD dafür, Klagen gegen eine Ministererlaubnis nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen. Zur Disposition steht auch die im Wettbewerbsrecht seit 1976 verankerte Pressefusionskontrolle, nach der das Bundeskartellamt Zusammenschlüsse von Zeitungstiteln untersagen bzw. Beteiligungen auf 24,9 Prozent beschränken darf, wenn die Unternehmen Produkte auf einem gemeinsamen Markt anbieten und zusammen mehr als 35 Millionen Umsatz erzielen. Angesichts der Zeitungskrise erwägt Clement diese Regelung aus dem Paragraf 35 der Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung streichen zu lassen. Im Gegenzug soll die Unabhängigkeit der Redaktionen durch Elemente wie Bestandsgarantien oder Redaktionsbeiräte gesichert werden. Der aktuelle Streit um Tagesspiegel und Berliner Zeitung könnte dabei zum Präzedenzfall werden.

 

Ü Auflagen-Verhältnisse auf dem Berliner Zeitungsmarkt

 

Titel

Verlag

Auflage

Berliner Zeitung

Gruner+Jahr/Holtzbrinck (?)

193.000

Tagesspiegel

Holtzbrinck

140.000

Berliner Morgenpost

Springer

150.000

B.Z.

Springer

239.000

Bild (Berlin u. Brandenburg)

Springer

139.000

Berliner Kurier

Gruner+Jahr/Holtzbrinck (?)

137.500

 

Ü Siehe auch folgende Artikel:   1 Zeitungsbranche im dritten Krisenjahr

                                               1 Gefährliche Folgen der Zeitungskrise

                                               1 Springer Verlag will Kartellrecht lockern

                                            1 Hängepartie im Streit um Berliner Zeitung