Die geplante Übernahme
der ProSiebenSat.1 Media AG durch den Springer-Konzern hat inzwischen eine
kontroverse Diskussion über Meinungsvielfalt in Deutschland ausgelöst. Während
Kritiker wie etwa die Mediengewerkschaften große Sorgen über die neu
entstehende Medienmacht äußerten, loben bayerische Standort- und
Medienpolitiker die Bildung eines neuen Multimedia-Konzerns.
Der bayerische Ministerpräsident Edmund
Stoiber (CSU) freute sich über den Zusammenschluss als „klare Stärkung des
Medienstandorts Deutschland und Bayern”. Wolf-Dieter Ring, der Präsident
der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (BLM), die für die Lizenzen und
Kontrolle der ProSiebenSat.1-Programme Kabel 1, N24 und Neun Live
zuständig ist, begrüßte die Fusion ebenfalls. Dadurch entstehe „neben der Bertelsmann-Gruppe
ein zweites starkes deutsches Medienunternehmen, das sowohl im Printbereich als
auch im Bereich der elektronischen Medien national und international
erfolgreich ist“. Diese Konstellation bewertete Ring als „Garant für eine
langfristige internationale Wettbewerbsfähigkeit und für die Weiterentwicklung
der Programmqualität mit publizistischem Anspruch“.
Der Mainzer Medienrechtler Prof.
Dr. Dieter Dörr, der zugleich Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung
der Konzentration im Medienbereich (KEK) ist, reagierte auf Rings
Pressemitteilung gereizt: „Ich finde es befremdlich, wenn Herr Ring versucht,
die Entscheidung der KEK zu präjudizieren.“ In einer eigenen Pressemitteilung
kündigte die KEK eine „intensive Prüfung der geplanten Übernahme“ an. Überprüft
würden vor allem „die Bereiche Print (insbesondere Tageszeitungen und
Programmzeitschriften), Hörfunk und Online-Medien sowie die möglichen
crossmedialen Wechselbeziehungen zur Fernsehveranstaltung“.
Ü Kritik von
SPD, FDP und Grünen
Während CSU-Chef Stoiber die Übernahme begrüßte, äußerten
sich Politiker anderer Parteien skeptisch. Der medienpolitische Sprecher der
FDP-Bundestagsfraktion, Hans-Joachim Otto, kritisierte einen
„ordnungspolitischen Sündenfall“, der vorliege, wenn „ein Unternehmen, das eine
wirklich sehr starke Stellung am Printmarkt und insbesondere bei den
Tagesmedien hat, jetzt auch im privaten Fernsehbereich die Mehrheit an einem
der wichtigsten Sender hat“. Ludwig Stiegler, stellvertretender
SPD-Fraktionschef im Bundestag, sprach von einer „sehr bedenklichen
Konzentration von Meinungsmacht in einem konservativen Verlagshaus“. Der
medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss,
forderte eine offensive Reaktion der Bundesländer. Sie müssten den
Regionalbereich der öffentlich-rechtlichen Programme stärken. „Sollte von den
Bundesländern keine Reaktion erfolgen“, sagte Tauss, „wird der Zusammenschluss
der Konzerne zweifellos ein Thema für den Bundestag. Dann müssten wir trotz
aller Schwierigkeiten kartellrechtlich vorgehen und das Kartellrecht eventuell
sogar verschärfen.“
Auch die Grünen reagierten kritisch. Ihre medienpolitische
Sprecherin im Bundestag, Grietje Bettin, forderte eine genaue Prüfung
hinsichtlich einer „konzentrationsrechtlichen Zulässigkeit” und der „möglichen
Entstehung einer vorherrschenden Meinungsmacht”. Die grüne Vorsitzende des
Ausschusses für Kultur und Medien im Bundestag, Monika Griefahn,
forderte im NDR, es müsse vermieden werden, „dass wir Verhältnisse wie in
Italien bekommen“, deshalb schlug sie auch für privatwirtschaftliche
TV-Programme „eine Art öffentlich-rechtlichen Beirat“ vor.
Ü
Landesmedienanstalten uneinig
Anders als BLM-Chef Ring,
der keinerlei Bedenken gegen eine Übernahme der ehemaligen Kirch-Programme
durch Springer hat, hält der Vorsitzende der Direktorenkonferenz der
Landesmedienanstalten (DLM), Wolfgang Thaenert, eine „medienrechtliche
Prüfung“ für notwendig und forderte ausdrücklich eine „Pluralismuskontrolle
durch das Expertenorgan der Landesmedienanstalten, der Kommission zur
Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK)“. Die ARD-Intendanten
reagierten ebenfalls mit Skepsis. Der ARD-Vorsitzende Thomas Gruber (Bayerischer
Rundfunk) sagte, eine Medienkonzentration dieser Größenordnung habe es in der
Bundesrepublik noch nicht gegeben. „Der Einfluss eines derartigen
publizistischen Machtapparates auf die politische Meinungs- und Willensbildung
ist von vorneherein problematisch“, betonte er. „Wir hoffen, dass sich der
Springer Verlag seiner publizistischen Verantwortung bewusst ist und nicht
einseitig Partei ergreift zugunsten seiner Senderfamilie ProSiebenSat.1“,
erklärte Gruber. WDR-Intendant Fritz Pleitgen sekundierte: „So offensiv
und auch missionarisch die Springer-Presse nicht selten vorgeht, bedarf die angestrebte
Übernahme von ProSiebenSat.1 einer intensiven Überprüfung.“
Ü
Gewerkschaften äußern Bedenken
Die Mediengewerkschaften Deutscher Journalisten-Verband (DJV)
und Verdi äußerten große Bedenken gegen die geplante Übernahme. „Eine solche
Medienmacht in einer Hand ist verheerend für die Meinungsvielfalt in
Deutschland”, kommentierte der DJV-Vorsitzende Michael Konken und
appellierte an das Bundeskartellamt, der geplanten Übernahme der Sendergruppe
durch Springer die Zustimmung zu verweigern. Nach Ansicht des DJV entsteht
durch die vollständige Übernahme der Stimmrechtsaktien durch Springer „ein
Medienmonopol mit gewaltigem Einfluss auf die öffentliche Meinung”. Die
Gewerkschaft Verdi forderte Regelungen der Konzentrationskontrolle für die
gesamte Medienwirtschaft über Branchengrenzen hinweg. Der stellvertretende
Verdi-Vorsitzende Frank Werneke kritisierte, Kartellrecht und
Rundfunkstaatsvertrag reichten nicht aus, um konzentrierte Medienmacht zu
begrenzen. Cross-mediale Strategien großer Konzerne würden zu einer
wechselseitigen Verstärkung von Meinungsmacht in Print- und audiovisuellen
Medien führen.
Kritik äußerte auch der
Hamburger Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg. Die „Verbindung
von Fernseh- und Zeitungsmacht“ gebe Springer „die Möglichkeit, mit Kampagnen
und wechselseitiger Promotion zwischen Fernsehsendern und Tageszeitungen
bestimmte Themen hochzuziehen und damit die öffentliche Meinung stark zu
beeinflussen oder auch bestimmte Interessen zu vertreten“, sagte Weischenberg
der Berliner Zeitung.
Ü Experten
rechnen mit Genehmigung
Horst Röper, Geschäftsführer des Dortmunder Medienforschungsinstitutes
Formatt, attestierte Springer eine publizistische Machtballung in Deutschland,
die im Fall der ProSiebenSat.1-Übernahme „absolut jenseits des Zuträglichen“
liege. Zeitungen, Zeitschriften und nun auch noch Fernsehprogramme des
Springer-Konzerns könnten sich darauf verständigen, Ereignisse alle unter einem
Friede Springer genehmen Blickwinkel darzustellen. „Die Vorliebe des
Springer-Konzerns für die Union ist ja bekannt“, kommentierte Röper. Der
Experte für Medienkonzentration geht dennoch davon aus, dass sowohl das
Bundeskartellamt als auch die Kommission zur Ermittlung der Konzentration die
Übernahme genehmigen werden: „Unsere Gesetze reichen leider nicht aus, um die
Fusion zu verhindern.“ Zu dieser Einschätzung gelangt auch der Tübinger
Wettbewerbsrechtsexperte Wernhard Möschel, der früher Chef des
wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium und der
Monopolkommission war, die den Konzentrationsprozess auf verschiedenen Märkten
regelmäßig untersucht. „Ich rechne nicht mit kartellrechtlichen
Schwierigkeiten. Das wird so durchgehen“, sagte Möschel der Financial Times
Deutschland.
Bedenken gegen die bevorstehende Übernahme äußerten auch die
Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und die
Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Sie halten das geplante Angebot an
die freien ProSiebenSat.1-Aktionäre in Höhe von voraussichtlich 14,10 Euro je
Vorzugsaktie für viel zu gering. Markus Straub von der SdK sagte, die
amerikanischen Investoren um Haim Saban hätten hingegen „ein schönes
Schnäppchen gemacht”.
Bei den Medien-Unternehmen kündigten bislang vor allem die
Verlage Holtzbrinck und DuMont Schauberg an, sie wollten sich beim
Kartellamt gegen die ProSiebenSat.1-Übernahme durch den Springer-Konzern
wehren. Die Bertelsmann AG, die mit der RTL Group die zweite große
deutsche TV-Programmfamilie betreibt, hat über eine Stellungnahme noch nicht
entschieden.
Ü Siehe auch folgenden Artikel:
1 Springer-Verlag übernimmt ProSiebenSat.1
(05.08.2005)