Der Vision einer einheitlichen, offenen Schnittstelle zur Entwicklung von interaktiven, multimedialen Mehrwertdiensten für digitale TV-Programme und Dienste droht das Scheitern. Die drei Buchstaben MHP sind eigentlich das Kürzel für Multimedia Home Platform. Für viele in der Branche aber stehen sie als Formel für „mutlos, hoffnungslos, programmlos“...

Es war am 19. September 2001, als sich die Fernsehbranche zur viel gerühmten Mainzer Erklärung durchrang (4 siehe Artikel Ende der Digital-Krise?). ARD, ZDF, RTL und KirchGruppe einigten sich auf einen gemeinsamen Standard für digitale Set-Top-Boxen: die Multimedia Home Platform (MHP). Dabei ging es um nicht weniger als eine einheitliche Norm, um über das Application Programming Interface (API) mit einer Java-basierten Software eine einheitliche und Hardware-unabhängige Plattform für möglichst viele digitale Zusatzdienste rund um das digitale Fernsehen zu gewährleisten. Damit sollten spezielle Anwendungen wie interaktive Spiele oder elektronische Programmführer (Electronic Pogramm Guide, EPG) nicht jeweils nur von bestimmten Decodern, sondern von allen Set-Top-Boxen unterstützt werden. Nur auf diese Weise, so musste die Branche einsehen, erhielten die Konsumenten Planungssicherheit bei der Wahl geeigneter Decoder.

Inzwischen jedoch scheint die große Euphorie verflogen. Zwar bietet die ARD schon seit dem 22. August 2002 einige MHP-Applikationen, und auch ZDF sowie RTL starteten inzwischen mit einzelnen Angeboten, von einer Marktreife aber scheint MHP noch weit entfernt. Das Realisieren der meisten MHP-Funktionen dauert mit etwa 5 Sekunden oder mehr Wartezeit aus Sicht der Zapping-trainierten TV-Zuschauer noch viel zu lang. Schneller aber geht es selten, wenn digitale Zusatzinformationen zum Fernsehprogramm abgerufen werden sollen. Schuld ist der sehr komplexe technische Ansatz von MHP-Programmierungen. Die Dokumentation des europäischen Standards DVB-MHP 1.1 umfasst mehr als tausend Seiten. (Die Spezifikation ist über www.etsi.org frei zugänglich.) Angesichts ihrer präzisen Ausdifferenzierung gilt die Norm zwar als zukunftssicher, aber auch als äußerst komplex.

 

Ü MHP-Endgeräte sind noch Exoten

 

Der MHP-Standard wurde bereits im Februar 2000 veröffentlicht. Er ergänzt die Normen des DVB-Konsortiums (DVB = Digital Video Broadcasting) und wird mittlerweile von mehr als 300 DVB-Mitgliedern aus 37 Ländern unterstützt. Die Mitgliedsorganisationen und -firmen kommen aus den Bereichen Dienste- und Programmanbieter, Telekommunikation, Informationstechnologie und Unterhaltungselektronik. Sony, Philips und Panasonic wollen demnächst MHP-Decoder auch in größeren Stückzahlen herstellen. MHP-Unterstützung leisten bislang nur Philips Satelliten-Receiver DSR 5600 oder Sonys Luxus-Fernsehgerät WEGA KD-32NS200 sowie die Activity-Box von Fujitsu-Siemens und der Panasonic-Receiver TU-MS 100. Mehr als ein paar zehntausend MHP-Endgeräte aber wurden bislang in Deutschland noch nicht verkauft. Noch sind MHP-Geräte also Exoten und sogar bei vielen Rundfunkhändlern noch völlig unbekannt.

 

Die Verheißungen der Branche klingen verlockend: MHP-Angebote sollen vom verbesserten Teletext über neue elektronische Programmführer (EPG), Zusatzdienste mit ergänzenden Informationen, zusätzliche Wetterdienste, News- und Börsenticker, Informationen über Verkehrswege, Flughäfen oder Bahnhöfe bis hin zu interaktiven Spielshows, neuen Formen der interaktiven Werbung, Online-Shopping, E-Mail und Internetzugriff reichen. Bislang erforderten diese interaktiven digitalen TV-Applikationen unterschiedliche Betriebssysteme wie Open TV (wird zum Jahresende in Deutschland eingestellt) oder Kirchs Beta Nova.

 

Ü Klassisches „Henne-Ei-Problem“

 

MHP wäre da – egal ob Satelliten-, Antennen- oder Kabelempfang – eine Lösung, um die unterschiedlichen Standards aufzulösen. Der Zuschauer soll mit einer MHP-basierten Set-Top-Box oder einem Fernsehgerät mit integrierter MHP-Lösung alle digitalen Dienste und Angebote unterschiedlichster Anbieter nutzen können. Doch zur Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin (4 siehe Artikel IFA zeigt Wundermaschinen fürs Heimkino) kamen zwar etwa tausend Aussteller, interaktive Angebote für digitales Fernsehen aber waren nur in etwa einem Dutzend Fälle zu besichtigen. Dabei zeigte RTL, wie man von Kamerahandys aus Fotogrüße auf den TV-Monitor schicken kann. Die ARD präsentierte interaktive Ergänzungen zu Jörg Pilawas Quiz-Show, bei der vom heimischen Sofa aus via Fernbedienung mitgeraten werden kann. Pro Sieben führte sein neues iTV-Portal inklusive virtuellem Neckermann-Katalog vor.

 

MHP-Inhalte bleiben vorerst Mangelware. Doch ohne sie droht das klassische Henne-Ei-Problem: Set-Top-Boxen machen für die Zuschauer keinen Sinn, solange es keine digitalen Zusatzangebote gibt. Ohne potenzielle Kunden aber werden die Hersteller von Unterhaltungselektronik den neuen Standard nicht in ihre Decoder integrieren. Schließlich verdoppelt sich der Preis von Set-Top-Boxen durch die Implementierung des MHP-Standards. Wichtigster MHP-Motor sind zurzeit ARD und ZDF. Sie wollen MHP-Dienste ab 2004 im Regelbetrieb anbieten. Premiere hingegen fühlt sich an die Mainzer Erklärung von 2001 keineswegs gebunden. Geschäftsführer und Gesellschafter Georg Kofler betont, das Pay-TV-Programm gehöre schließlich nicht mehr zur KirchGruppe und MHP sei viel zu teuer. Die Fachzeitschrift Infosat urteilte in der September-Ausgabe nur knapp: „MHP wird scheitern.“ Das, so war von einer Spekulation zu lesen, wisse die Branche auch, wolle es nur noch nicht zugeben...

 

Ü Pleitgen fordert mehr Unterstützung

 

WDR-Intendant Fritz Pleitgen klagte bei der IFA darüber, es fehle "der durchschlagende politische Wille, die vorhandenen Mittel zur Markteinführung von MHP einzusetzen". Die Bundesregierung tue so gut wie nichts für den von ihr gewünschten "schnellen switchover von der analogen zur digitalen Technik". Die Verpflichtung der EG-Mitgliedstaaten zur Förderung von MHP - und auch des Digitalradios DAB - werde von der Bundesregierung "in unverantwortlicher Weise nicht zur Kenntnis genommen. Offensichtlich erkennen die Verantwortlichen nicht die Tragweite ihrer Trägheit oder sind sonst wie ihrer Aufgabe nicht gewachsen", sagte Pleitgen. Der WDR-Intendant und stellvertretende Vorsitzende der Europäischen Rundfunkunion (EBU) verwies auf das Beispiel des belgischen Flanderns. Dort fördere die Regierung die Einführung des digitalen interaktiven Fernsehens auf MHP-Basis mit mehreren Millionen Euro. Dieses Beispiel zeige, dass die Mitgliedstaaten "nicht zur Untätigkeit verdammt" seien. Um in Deutschland das Thema MHP zu forcieren, forderte Pleitgen auch Kabelnetzbetreiber und Landesmedienanstalten zu mehr Engagement auf.

 

Ü Weitere Informationen zu MHP finden Sie im Online-Angebot des offiziellen MHP-Forum.