Personal Video
Recorder bedrohen Free-TV
Programmanbieter haben Angst, dass Werbung
ausgeschaltet wird
Von Dr. Matthias Kurp, 12.10.2004
Zwanzig Jahre nach dem Start des
privatwirtschaftlichen Free-TV droht der deutschen Fernsehlandschaft ein
gewaltiger Umbruch: Digitalisierung und so genannte Personal Video Recorder
(PVR) machen zeitversetztes Fernsehen möglich. Die Folgen treffen vor allem die
Spielfilm- und Serienkanäle sowie die Werbewirtschaft.
Die Zeit der herkömmlichen
Videorecorder neigt sich dem Ende zu. Die moderne Generation von
Aufzeichnungsgeräten im heimischen Pantoffelkino arbeitet digital, verfügt über
elektronische Programmführer (Electronic Programm Guide, EPG) oder überspielt
Filme auf Festplatten. Einige der neuen Recorder speichern auf Wunsch sogar
automatisch alle Magazine eines bestimmten Genres, alle Folgen einer Serie oder
alle Kinostreifen mit zuvor festgelegten Lieblingsschauspielern.
Etwa achtzig unterschiedliche Festplattenrecorder sind bereits auf dem deutschen Markt. Die Geräte zeichnen Bilder auf einer rotierenden Festplatte auf und sind beim Abspielen weitaus bedienungsfreundlicher als die analogen Recorder. So finden sie gewünschte Sequenzen in Sekundenschnelle ohne ein Videoband spulen zu müssen. Bei Bedarf lassen sich einzelne Szenen beliebig oft wiederholen, natürlich auch mit Zeitlupe oder Zeitraffer. Gute Festplattenrecorder aber leisten noch mehr: Klingelt etwa das Telefon, kann der aktuelle Film unterbrochen und später zu Ende gesehen werden („Time-Shift“).
Ü
Zuschauer als Programmdirektor
Die Unterhaltungselektronik gab den neuen digitalen Butlern den Namen Personal Video Recorder (PVR) und verspricht den Zuschauern, sie würden selbst Programmdirektoren. Sogar zeitversetztes Zuschauen ist möglich. Wer also sein TV-Gerät erst um 20.05 Uhr einschaltet, kann die Tagesschau dennoch von Anfang sehen. Wer um 20.30 Uhr nach Hause kommt, verpasst nach entsprechender Programmierung nichts vom 15 Minuten zuvor begonnenen Film, sondern kann ihn von Anfang an genießen. Dabei zeigt das PVR-System das zuvor Aufgezeichnete und nimmt zugleich weiter auf („Time-Slip“).
Bislang wurden in Deutschland etwa 80.000 Exemplare der neuen Recorder-Generation verkauft. Die meisten PVR-Geräte kosten zwischen 450 und 550 Euro. Den Durchbruch verspricht sich die Branche vom Weihnachtsgeschäft. Ab November will der Pay-TV-Anbieter Premiere eine von ihm zertifizierte Version in Kombination mit einem Abonnement für weniger als 300 Euro anbieten. In den USA wurden bislang bereits etwa vier Millionen Personal Video Recorder verkauft. Marktführer ist der kalifornische Hersteller TiVo, der seinen bislang 1,9 Millionen Kunden ein Abonnementmodell bietet. Für monatlich etwa 13 Dollar wird das Programm aller TV-Kanäle systematisch durchsucht, bevor jeweils auf die Kundenwünsche abgestimmte Serien oder Filme, Reportagen oder Shows selbstständig auf deren Festplatte übertragen werden. So lassen sich bis zu 160 Stunden Programm speichern.
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Werbeinseln in Gefahr
Eine TiVo-Funktion, die auch andere digitale Recorder besitzen, sorgt zurzeit beim Publikum besonders für Furore und für Unbehagen bei RTL, Sat.1 & Co.: Das Aufzeichnen und zeitversetzte Anschauen von Programmen ermöglicht es, Werbung komplett zu überspringen. Fast alle Festplattenrekorder filtern die Werbeinseln nämlich inzwischen auf Knopfdruck heraus. Erfahrungen aus den USA haben gezeigt, dass etwa jeder zweite TiVo-Nutzer das Ausblenden der Werbung für die wichtigste PVR-Funktion hält. Schon in fünf Jahren könnten die Marken-Spots deshalb ungefähr zwanzig Prozent an Reichweite verlieren.
Die Werbeforschungsfirma Zenith Optimedia schätzt den PVR-Anteil in deutschen TV-Haushalten für 2010 auf zwanzig Prozent, was der Werbung Reichweitenverluste von etwa 15 Prozent bescheren soll. Programmmacher suchen deshalb nach Strategien, um die Werbeerlöse zu sichern. Neue Sponsoringformen, kürzere Werbeinseln, Bildschirmteilung mit integrierten Markenartikelclips („Splitscreen“) und eine Erhöhung des Nutzwertes von Werbung durch interaktive Gewinnspiele oder Service-Elemente sollen die Rettung bringen. Als gutes Mittel gegen das Ausblenden von Werbung oder zeitversetztes Zuschauen gelten außerdem Live-Sendungen, die von der Spannung des Augenblicks profitieren (v.a. Sport-Übertragungen).
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Ruinieren oder revolutionieren?
Versuche, technische Werbeblocker auf dem Rechtsweg zu unterbinden, sind inzwischen gescheitert. Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte im Juni 2004, dass im Fall der so genannten „Fernsehfee“ das Ausblenden von Werbung keine allgemeine Marktbehinderung darstellte (4 siehe Artikel Bundesgerichtshof erlaubt Fernsehfee). Unter dem märchenhaften Namen hatte das Koblenzer Unternehmen TC Unterhaltungselektronik AG bereits 1999 ein analoges Modul vorgestellt, das während der Werbeunterbrechungen automatisch das Programm wechselte. Der digitale Fernsehfee-Nachfolger heißt Tivion und soll mit Hilfe von Internet-Signalen Werbeblöcke ausblenden oder auf werbefreie Kanäle umschalten.
Ob die Werbeblocker das Fernsehgeschäft ruinieren oder revolutionieren werden, bleibt offen. Einige TV-Manager prüfen bereits, Free-TV-Programme nur noch solchen Festplatten-Nutzern anzubieten, die auch freiwillig Werbung akzeptieren. Eine zweite Option basiert auf der Gewinnung von Kundenprofilen, die entstehen, wenn PVR-Nutzer ihre Programmvorlieben preisgeben. Die Fernsehfee-Erfinder und andere in der Branche schwärmen bereits vom „Target-Permission-Marketing“, also davon, Werbung mit Einwilligung der Zuschauer individuell via TV auf sie abzustimmen. Andernfalls, so drohen sie, würde aus dem Free-TV ein Fee-TV.