Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat eine Klage des TV-Programmanbieters RTL gegen die Zulässigkeit so genannter Werbeblocker zurückgewiesen. Damit ist die mit speziellen Geräten ermöglichte Ausblendung von TV-Werbung zulässig. Die Free-TV-Branche muss weitere Werbeeinbußen befürchten.

 

Werbeblocker wie das Gerät „Fernseh-Fee“ des Koblenzer Anbieters TC Unterhaltungselektronik AG schalten bei Werbung automatisch auf ein zuvor programmiertes anderes, werbefreies Programm um. Solche zum Anschluss an Fernseher oder Videorekorder bestimmten Vorschaltgeräte wurden vom Bundesgerichtshof (BGH) nun ausdrücklich erlaubt. Die Werbeblocker erschwerten zwar das Geschäft des werbefinanzierten Fernsehens, urteilten die BGH-Richter in einem am 25. Juni veröffentlichten Urteil. Von einer existenziellen Gefährdung für den Kläger RTL, der eine Verbotsklage angestrengt hatte, sei aber nicht auszugehen. Es handele sich weder um eine unzulässige Marktbehinderung noch um einen Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit. RTL hatte dem Fernseh-Fee-Anbieter  wettbewerbswidriges Verhalten vorgeworfen und damit vor dem Landgericht Berlin auch Erfolg gehabt. Das Kammergericht allerdings entschied 2001 anders, ebenso wie nun der BGH.

Ü Keine Gefahr für Rundfunkfreiheit

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs urteilte, zwischen den Parteien bestehe ein Wettbewerbsverhältnis, da die Beklagte sich mit ihrem Angebot ebenso wie die Klägerin, wenn auch mit umgekehrter Zielrichtung, an Fernsehkonsumenten wende. Allerdings, so heißt es in einer Presseerklärung des Bundesgerichtshofes, wirke ein Werbeblocker auf die Sendebeiträge von RTL und namentlich auch auf die darin enthaltene Werbung nicht unmittelbar ein, sondern biete dem TV-Publikum lediglich eine technische Hilfestellung zum Ausblenden nicht gewünschter Werbung. Die Anwendung der Werbeblocker-Funktion bleibe jeweils dem Zuschauer überlassen.

Darüber hinaus heißt es in der Urteilsbegründung, das Verhalten der TC Unterhaltungselektronik AG berühre nicht die den Kern der Rundfunkfreiheit bildende Programmfreiheit von RTL. Das Kammergericht als Berufungsgericht habe insofern bei seiner Interessenabwägung mit Recht auch die grundrechtlich geschützte Position der Fernseh-Fee-Entwickler auf freie wirtschaftliche Betätigung berücksichtigt. Von einer drohenden existentiellen Gefährdung für RTL sei hingegen nicht auszugehen. Der Tenor des Urteils (Aktenzeichen: I ZR 26/02 vom 24. Juni 2004) lautet somit, dass Werbeblocker keine unzulässige allgemeine Marktbehinderung darstellen, da ihr Vertrieb zwar die geschäftliche Tätigkeit des durch Werbung finanzierten Fernsehens behindert, sie jedoch nicht existenziell bedroht. Im Grunde, so argumentierten die Richter, automatisiere die Fernseh-Fee beim Umschalten auf andere Kanäle nur, was die meisten Zuschauer bei Werbeunterbrechungen ohnehin schon längst von Hand vornehmen würden.

Ü Gang zum Bundesverfassungsgericht?

Die Richter des Bundesgerichtshofes begaben sich auf juristisches Neuland und mussten Wettbewerbsrecht und Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichtes gegeneinander abwägen. Zwar gewährten die Rundfunkurteile sechs und sieben privatwirtschaftlichen TV-Programmanbietern eine Bestandsgarantie, urteilte der Senat, diese sei jedoch – anders als beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk – nicht uneingeschränkt auch in finanzieller Hinsicht einklagbar.

Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofes endete (vorerst?) ein fünfjähriger Rechtsstreit zwischen RTL und der Koblenzer Firma TC Unterhaltungselektronik, von der die Fernseh-Fee auf den Markt gebracht worden war. RTL zeigte sich nach dem Urteil „verwundert“. „Wir warten die Entscheidungsgründe ab und behalten uns den Weg zum Bundesverfassungsgericht vor“, sagte Unternehmenssprecher Christian Körner. „Schließlich geht es um die Rundfunkfreiheit, deren wesentlicher Bestandteil auch die Finanzierung ist.“

Ü Fernseh-Fee-Nachfolger heißt „Tivion“

Die TC Unterhaltungselektronik AG hatte ihren analoge Fernseh-Fee erstmals 1999 vorgestellt. Das Gerät erhielt über Radio-Frequenzen ein Signal (RDS), das immer dann von TC-Mitarbeitern, die alle Sendungen live mitverfolgten, ausgestrahlt wurde, wenn Werbeblöcke begannen oder endeten. In diesen Fällen wurde entweder das Bild schwarz oder ein anderes, zurzeit werbefreies Programm angewählt. Weil parallel zum Rechtsstreit Anfang 2000 die Radiostationen der TC Unterhaltungselektronik die Verträge kündigten, wurden von der Fernseh-Fee bislang nur „einige tausend“ Exemplare verkauft.

Die TC Unterhaltungselektronik hat 14 Mitarbeiter, ist an der Börse nur etwa 2,5 Millionen Euro wert, hat die Erlöse des Börsengangs von 2000 längst aufgezehrt (49 Prozent der Anteile gehören den Initiatoren Bauersachs und Guido Ciburski) und seit März 1999, als RTL seine Unterlassungsklage per einstweiliger Verfügung anstrengte, „keine nennenswerte Umsätze“ mehr gemacht. Das soll nach dem jüngsten Urteil anders werden: Nach Auskunft der TC-Vorstandsvorsitzenden Petra Bauersachs wird bereits in wenigen Tagen mit der Serienproduktion einer neuen Werbeblocker-Set-Top-Box namens Tivion für das Weihnachtsgeschäft begonnen. Dabei handelt es sich nach Unternehmensangaben um einen 99 Euro teuren Multimedia-Adapter, der Computer und Fernsehgerät miteinander verbindet und mit Hilfe von Internet-Signalen Werbeblöcke ausblenden oder auf werbefreie Kanäle umschalten kann. 3000 dieser neuen Boxen will die TC Unterhaltungselektronik pro Woche herstellen lassen.

Ü Persönliche Video Recorder als Gefahr?

Wer bereits über einen digitalen Festplattenrecorder (siehe Artikel IFA zeigt Wundermaschinen fürs Heimkino) verfügt, kann dank Tivion bei seinen Aufzeichnungen die Werbung komplett ausschalten. Die neue Generation der so genannten Persönlichen Video Recorder (PVR) könnte bald ebenfalls Werbeblocker bieten. PVR funktionieren ähnlich wie DVD-Recorder, zeichnen aber auf Festplatten auf. In den USA wurden bereits etwa 2 Millionen dieser Geräte verkauft. Marktführer ist der kalifornische Hersteller TiVo. PVR erlauben es sogar, Programme zugleich aufzuzeichnen und um wenige Minuten zeitversetzt zugleich anzuschauen. Werbung lässt sich so ganz einfach umgehen, indem Spielfilme beispielsweise gezielt etwa um die Zeit der geschätzten Summe an Werbezeiten verspätet gesehen werden, so dass das Filmende schließlich gegebenenfalls wieder (nach der letzten Werbeunterbrechung) in Echtzeit genossen werden kann.

Für die deutsche Free-TV-Branche könnten Werbeblocker zur Gefahr werden. Erfahrungen aus den USA haben gezeigt, dass TiVo-Nutzer etwa 20 Prozent der Werbung ausblenden. Andererseits lässt sich über die Erstellung von Kundenprofilen die neue Technik auch zum zielgenauen Adressieren von Werbebotschaften verwenden. Im Internet wirbt TC Unterhaltungselektronik bereits damit und verspricht: „Tivion wird Breitband-TV kostenlos in jedes Wohnzimmer bringen und eigene Werbeformen anbieten (Target-Permission-Marketing statt „Pamperswerbung an kinderlose Haushalte“).“ Theoretisch wäre TC Unterhaltungselektronik also in der Lage, Werbung von RTL, Sat.1 & Co. durch selbst akquirierte Spots zu ersetzen. Das Koblenzer Unternehmen hat sogar schon darüber nachgedacht, Tivion-Geräte gratis abzugeben, wenn Verbraucher im Gegenzug an sie persönlich adressierbare TV-Werbung („Target-Ads“) zulassen.

Anfang des Jahres hat RTL auch gegen Tivion juristische Schritte eingeleitet und beim Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung durchgesetzt. Nach der BGH-Entscheidung will Petra Bauersachs nun gegen die einstweilige Verfügung vorgehen und hat bereits verlauten lassen, eventuell auf 1,4 Millionen Euro Schadenersatz zu klagen.