Deutschlands
größte Tonträger-Produzenten haben sich auf eine gemeinsame Plattform für die
Online-Vermarktung von Musiktiteln geeinigt. Das Projekt „Phonoline“
(Arbeitstitel) soll im Herbst starten. Damit reagiert die Musikindustrie auf
die enormen Umsatz-Einbrüche der vergangenen Jahre.
Nach Angaben des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft ist der Umsatz der deutschen Tonträgerindustrie 2001 und 2002 jeweils im Vergleich zum Vorjahr um etwa 12,5 Prozent zurückgegangen (siehe Grafik). Von Januar bis Juni dieses Jahres sank die Summe der verkauften CDs, Musik-Cassetten und Venyl-Scheiben gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum erneut um 16,3 Prozent auf 80,4 Millionen. Als Auslöser für die Krise hat die Branche außer dem Internet vor allem die CD-Brenner ausgemacht: Bereits 2001 waren mit Programmen wie Nero Burning oder Clone CD erstmals mehr Tonträger kopiert worden (182 Millionen) als im selben Jahr über die Ladentheke gingen (172 Millionen). Im vergangenen Jahr klaffte die Schere noch weiter auseinander: Während nur noch166 Millionen CD-Alben verkauft wurden, lag die geschätzte Zahl der CD-Kopien bei 259 Millionen.
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Deutscher Tonträgermarkt in der Krise
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Branche sucht neue Erfolgsrezepte
Seit sechs Jahren gehen die Tonträgerumsätze in Deutschland zurück: Erst sanken sie ganz langsam, später sogar zweistellig. Die satten Gewinne aus den 90-er Jahren sind Vergangenheit. Den Top-Labeln fehlt es an zugkräftigen Stars und klugen Rezepten für den Weg aus der Krise. Längst haben auch die Branchen-Riesen Universal, Sony, Time Warner, Bertelsmann Music Group (BMG) und EMI, die mehr als 70 Prozent der weltweiten Branchenumsätze auf sich vereinen, die Kostenbremse gezogen. EMI trennte sich im vergangenen Jahr von 1800 Mitarbeitern, BMG und Time Warner hatten bereits im Jahr zuvor damit begonnen, die ersten von inzwischen mehr als jeweils 1000 Stellen zu streichen.
Parallel zum Sparen hat die Suche nach neuen Superstars begonnen – notfalls per Fernsehshow (4 ausführlicher Artikel). Mehr als 8700 neue Pop-CD-Alben wurden im vergangenen Jahr auf den Markt gebracht. 90 Prozent aller Neuveröffentlichungen aber gelten in der Branche als Flops. Kassenknüller wie Grönemeyers „Mensch“ – mit mehr als 3 Millionen Verkäufen erfolgreichstes Produkt des vergangenen Jahres – sind selten. Allmählich rächt es sich, dass die großen Plattenlabels ihre so genannten A&R-Aktivitäten (Artists und Repertoire) stark vernachlässigt haben. Seit in den 90-er Jahren neue Musikrichtungen wie Techno oder HipHop entwickelt wurden, fehlt es der Branche an frischen Akzenten.
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Apples „Music-Store“ als Vorbild
Um nicht noch mehr Marktanteile an Online-Tauschbörsen wie Gnutella oder Kazaa zu verlieren, hat sich die deutsche Musikindustrie nun auf die Online-Plattform Phonoline geeinigt. Die Chefs von Universal, Warner Music, Sony, BMG und EMI stellten das Projekt in der vergangenen Woche während der Kölner Branchemesse PopKomm vor. Dabei handelt es sich nicht um ein direkt an Endkunden gerichtetes Angebot, sondern um eine Verkaufsplattform, die in bereits existierende Online-Shops integriert werden soll. Musiksites und Pop-Portale können zu diesem Zweck mit der Firma PhonoNet GmbH kooperieren, die bereits in Hamburg gegründet wurde. Das technische Rückrat für Abrechnung und Kundenservice stellt die Deutsche Telekom AG mit ihrer UDS-Plattform zur Verfügung (Universal Delivery System). Angeboten werden vier Online-Zahlungsarten: per Kredit- oder Guthabenkarte, per Lastschrift oder einfach per Telefonrechnung.
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100.000 Titel im Angebot
Nur ein Geheimnis
haben die Betreiber von Phonoline bislang nicht gelüftet: das Preismodell. Als
Vorbild dürfte wohl der Music-Store
von Apple dienen, bei dem jeder Song 99 Cent kostet. 65 Cent davon landen
jeweils bei den Herstellern und Interpreten. Die erst im Mai gestartete
Musik-Offensive von Apple-Chef Steve Jobs stieß bislang auf so viel Akzeptanz
wie sonst kein anderer virtueller Plattenladen im weltweiten Netz. Obwohl Apple
auf dem amerikanischen PC-Markt nur etwa 5 Prozent Marktanteil behauptet,
wurden bereits in der ersten Woche eine Million Musikdateien verkauft. Nach
zwei Monaten waren etwa fünf Millionen digitale Songs heruntergeladen worden.
Weil das Apple-Vorbild bislang auf die USA beschränkt ist, könnte Phonoline
nach einem ähnlichen Modell in Europa rasch zum Marktführer werden. Mit mehr
als 100.000 Titeln soll Phonoline noch besser sortiert sein als Jobs
Music-Store. In den kommenden zwölf Monaten könnte das Angebot auf mehr als
eine Million Titel erweitert werden, hieß es während der PopKomm, und die
Betreiber wollen binnen eines Jahres mindestens 30 Millionen Endverbraucher
locken.
Ü Mehr Daten zum Tonträgermarkt
finden Sie im Download-Bereich „Daten & Fakten“.
Ü Eine ausführliche Analyse zum Thema
Musikindustrie findet sich auch im Buch Musikfernsehen in Deutschland.