Holtzbrinck-Verlag verkauft Tagesspiegel

Holtzbrinck-Freund Pierre Gerckens will Berliner Zeitung übernehmen

 

 

Von Dr. Matthias Kurp, 29.09.2003

 

 

 

 

Die Verlagsgruppe Holtzbrinck hat im Ringen um die Berliner Zeitung einen überraschenden Befreiungsschlag gemacht: Sie will einfach den eigenen Titel Tagesspiegel an Pierre Gerckens verkaufen und darf dann die Berliner Zeitung übernehmen. Gerckens ist Vizepräsidenten des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und mit dem Holtzbrinck-Konzern eng verbunden.

Der Termin für die überraschende Meldung war effektvoll gewählt: Wenige Stunden bevor Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Jahreskongress des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Berlin eine Rede zum Thema Zeitungs-Wettbewerb halten sollte, meldeten die Presseagenturen am 29. September, Holtzbrinck habe den Antrag auf eine Ministererlaubnis zur Übernahme der Berliner Zeitung zurückgezogen und sich statt dessen für den Verkauf des Tagesspiegel entschieden. Die Verlagsgruppe veräußere den Tagesspiegel an den bisherigen Holtzbrinck-Manager Pierre Gerckens, teilte das Stuttgarter Unternehmen in einer Pressemitteilung mit, da mit einer baldigen Ministererlaubnis für die Übernahme der Berliner Zeitung und eine Kooperation mit dem Tagesspiegel nicht mehr zu rechnen gewesen sei. Über den Preis wurden keine Angaben gemacht. Die Verlagsgruppe Bauer hatte zuletzt 20 Millionen Euro geboten (4 siehe Artikel Tagesspiegel-Tauziehen kurz vor dem Finale). Stefan von Holtzbrinck verriet gegenüber der Süddeutschen Zeitung, Gerckens Kaufpreis habe im Vergleich zu allen anderen Angeboten schließlich auf Rang zwei gelegen.

Ü Gerckens lange für Holtzbrinck tätig

Gerckens (65) hat für Holtzbrinck (Die Zeit, Handelsblatt) unter anderem als geschäftsführender Gesellschafter die Verlagsgruppe Handelsblatt entwickelt, den Südkurier saniert und den Aufbau des Zeitungsbereiches des Stuttgarter Medienhauses organisiert. Der in Belgien geborene Zeitungsmanager gilt längst als Freund von Dieter von Holtzbrinck. Zuletzt saß er im Holtzbrinck-Aufsichtsrat und in einigen Beiräten des Unternehmens. Gerckens scheide mit sofortiger Wirkung aus dem Aufsichtsrat der Verlagsgruppe sowie allen anderen Verlagsgruppengremien aus, hieß es inzwischen aus Stuttgart. „Ich freue mich auf eine selbstständige und unabhängige Verlegertätigkeit“, teilte Gerckens in einer eigenen Pressemitteilung mit. „Es gibt keine finanzielle Verpflichtung gegenüber Holtzbrinck“, wehrte der stellvertretende Vorsitzenden der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Holtzbrinck, Michael Grabner am Montag in Berlin den Verdacht ab, Gerckens agiere für das Stuttgarter Zeitungshaus als Strohmann. Der Zeitpunkt der Übernahme hänge nun vom Bundeskartellamt ab. Parallel will Holtzbrinck beim Kartellamt erneut die Genehmigung für den Kauf des Berliner Verlages (Berliner Zeitung, Berliner Kurier) beantragen und kann nun mit grünem Licht der Wettbewerbshüter rechnen.

Ü Ministererlaubnis kein Thema mehr

Nachdem die Berliner Zeitung im Juli 2002 vom Verlag Gruner + Jahr (zusammen mit dem Boulevardblatt Berliner Kurier) an Holtzbrinck (Die Zeit, Handelsblatt) verkauft worden war, hatten sowohl das Bundeskartellamt als auch die Monopolkommission diese Übernahme mit folgender Begründung abgelehnt: Da Holtzbrinck in Berlin auch den Tagesspiegel herausgebe, erlange der Verlag in der Hauptstadt nach dem Kauf der Berliner Zeitung mit einem Abonnement-Marktanteil von 61,4 Prozent zu viel Marktmacht, die eine Wachstumsbarriere für andere Unternehmen darstelle (4 siehe Artikel Hängepartie im Streit um Berliner Zeitung). Nur eine Ministererlaubnis von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) hätte nun noch eine Fusion von Berliner Zeitung und Tagesspiegel ermöglichen können (4 siehe Artikel Tagesspiegel-Tauziehen kurz vor dem Finale).

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) muss dank der neuen Lösung nicht mehr über eine Ministererlaubnis nachdenken, die für die Branche zum Präzedenzfall hätte werden können. Clement begrüßte den Weg, den Holtzbrinck eingeschlagen habe, und geht einstweilen davon aus, dass der Verlag „eine unternehmerische Lösung“ anstrebe, durch die „beide Redaktionen erhalten bleiben“ könnten. Die Hamburger Verlagsgruppe Bauer, die für den Tagesspiegel ebenfalls ein Angebot unterbreitet hatte, fühlte sich hingegen „an der Nase herumgeführt“. So jedenfalls kommentierte Bauer-Sprecher Andreas Fritzenkötter den überraschenden Verkauf an Gerckens. Der Bauer-Verlag hatte angeboten, den Tagesspiegel zu kaufen und dabei eine Bestandsgarantie für sieben, eventuell auch für zwanzig Jahre zu geben. Mit dem Verkauf an Gerckens gibt es nun nach Angaben des Holtzbrinck-Pressesprechers Rolf Aschermann keine Bestandsgarantie für den Tagesspiegel. Der Neu-Verleger selbst soll der betroffenen Redaktion in Berlin nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung hingegen eine Bestandsgarantie für „die nächsten drei bis fünf Jahre“ gegeben haben.

Ü Zeitungs-Kooperation immer wahrscheinlicher

Auch wenn Gerckens alle Holtzbrinck-Funktionen aufgibt, muss doch von einer engen Kooperation mit seinem einstigen Arbeitgeber ausgegangen werden. Der Dortmunder Medienforscher Horst Röper (FORMATT) kritisierte den Tagesspiegel-Verkauf an Gerckens bereits als „Umgehungssachverhalt zum geltenden Kartellrecht". Der Tagesspiegel werde in eine „Warteposition“ gebracht, bis ein neues Kartellrecht die angestrebte Fusion mit der Berliner Zeitung doch zulasse, vermutete Röper in einem Gespräch mit dpa. Berliner Zeitung und Tagesspiegel dürften künftig in den Bereichen Anzeigenakquisition, Vertrieb und eventuell auch Redaktion eng zusammenarbeiten. Dabei dürfte es dem Neu-Verleger helfen, dass die Bundesregierung zurzeit an Plänen arbeitet, Zeitungsverlagen unterschiedliche Formen der Kooperation zu erleichtern. Eine entsprechende Änderung des Kartellrechtes soll ab 1.Mai 2004 gelten. Diskutiert wird auch, dass Fusionen von Zeitungshäusern künftig vom Bundeskartellamt erst ab einem gemeinsamen Umsatz von 50 Millionen statt derzeit 25 Millionen Euro untersagt werden dürfen. Im Gegenzug soll die Unabhängigkeit der Redaktionen durch Statuten oder Beiräte gesichert werden.

Siehe auch:   1 Chronik des Berliner Zeitungs-Streits

                   1 Tagesspiegel-Tauziehen kurz vor dem Finale

                   1 Hängepartie im Streit um Berliner Zeitung

                   1 Zeitungsbranche im dritten Krisenjahr

                   1 Gefährliche Folgen der Zeitungskrise

                   1 Springer Verlag will Kartellrecht lockern